Windeldermatitis L22

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 13.04.2021

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Synonym(e)

Ammoniakalische Dermatitis; Dermatitis ammoniacalis; Dermatitis glutaealis infantum; Dermatitis glutealis infantum; Dermatitis pseudosyphilitica papulosa; Diaper dermatitis (engl.); Erythema glutaeale; Erythema papulosum posterosivum; posterosives Syphiloid; Soorwindeldermatitis; Syphiloid posterosives; Windelsoor

Definition

Häufige, primär irritative, mazerativ-erosive Dermatitis im Windelbereich bei Säuglingen (zunehmend auch bei dementen und/oder inkontinenten Erwachsenen zu beobachten), die durch intensiven und längeranhaltenden Kontakt der Haut mit Exkrementen verursacht wird.

Vorkommen/Epidemiologie

Typ I: Eine der häufigsten Hauterkrankungen des Säuglingsalters. 7-35% aller Säuglinge erkranken zu irgendeinem Zeitpunkt einmal oder mehrmals an einer Windeldermatitis. Etwa 6% der Kinder entwickeln eine schwere Windeldermatitis mit Tendenz zu Sekundärinfektionen mit Candica albicans und Staphylokokkus aureus. Nur 35% der Kinder entwickeln bis zum 20. Lebensmonat keine Windeldermatitis.

Typ II: Häufige Hauterkrankung bei bettlägerigen Patienten, die bei Stuhl- und Harninkontinenz permanent Windelutensilien benötigen.

Ätiopathogenese

Entstehung bei ansonsten gesunden Kindern und bei pflegebedürftigen Erwachsenen durch die kumulative Wirkung verschiedener irritativer Faktoren, die in dem okkludierten Haut-Windelbereich angreifen können (Kriterien des klassischen toxischen Kontaktekzems):

  • Verlängerte Kontaktzeit von Stuhl und Urin
  • Durchfallerkrankungen
  • Nahrungsumstellungen auf Fruchtsäure-haltige Nahrungsmittel (Apfelsaft, Orangensäfte u.a.)
  • Wahrscheinlich auch Schädigungen der Haut durch Trypsin und Lipase im Stuhl (Aktivität der Enzyme steigt mit zunehmender Alkalisierung). Stuhl von gestillten Kindern ist saurer als von mit Kuhmilch ernährten und wird durch Ammoniak alkalisiert.
  • Reibungen und Okklusion sind Voraussetzung für die Dermatitis (Mazeration der Hornschicht, feuchtwarmes Milieu).
  • Häufig sekundäre Besiedlung durch Candida Spezies (s.a. unter Candidosen)

Manifestation

Typ I: 9.-12. Lebensmonat.

Typ II: 70 - 90 Jahre (bei Pflegebedürftigkeit)

Lokalisation

Windelbereich, Genitale, perianal. Evtl. Ausbreitung auf die Innenseite der Oberschenkel, Rücken, Unterbauch (Orte mit vermehrter Reibung). Freibleiben der Inguinalfalten. Nach Durchfallerkrankungen und/oder antibiotischer Systemtherapie perianaler Befall.

Klinisches Bild

Unscharf begrenzte, flächige Rötung mit Blasen, Erosionen, Schuppung, derben, vegetierenden Papeln, schuppigen, fleckigen Erosionen sowie nässenden Flächen. Zeichen der erosiven Mazeration.

Bei sehr ausgeprägtem Befall (eher selten) Ausbildung flächiger Ulzera (Jaquet-Ulzera).

Bei Superinfektion durch Candida-Spezies werden die Erytheme durch aufgeworfene Schuppensäume, die mit stippchenartigen Pusteln durchsetzt sind, begrenzt. Häufig auch kleinere, disseminierte, schuppende Erytheme in der gesunden Umgebung (Satellitenläsionen).

Differentialdiagnose

S.a. Neugeborene, Hautveränderungen

Ekzem, atopisches: Das infantile atopische Ekzem kann die Windelregion befallen, dies ist aber eher die Ausnahme! Diese Ekzemform zeigt häufig Stamm- und Kopf-betonte nässende, krustös belegte, stark juckende, unscharf begrenzte Erytheme und Ekzeme, die exakt die Windelregion aussparen (Bemerkung: da die Windelregion durch Pampers kontinuierlich bedeckt bleibt, wird der atopische "Circulus vitiosus von Juckreiz und Kratzen" in diesem Bereich unterbrochen. 

Windelsoor: als wichtiges Unterscheidungsmerkmal gilt die Aussparung der tiefen Hautfalten (W-Form) bei der Windeldermatitis während diese Areale bei der Kandidose typischerweise befallen sind. 

Infantile Psoriasis vulgaris: Sie zeigt sich häufig nicht "Erwachsenen-typisch". Wegweisend sind Muster und Verteilung der Plaques. Es finden sich unterschiedlich große, entzündlich gerötete, scharf oder unscharf begrenzte, schuppige Plaques, auch Erytheme,  unterschiedlicher Größe und Konfiguration. Befallen sind Stamm, die streckseitigen Extremitäten und die seborrhoischen Zonen des Gesichts sowie das Kapillitium. Die Windelregion ist eher zufällig betroffen.    

 Seborrhoisches Ekzem des Säuglings (s.a. Eccema infantum): Die Windelregionen sind eher gering betroffen, wenn dann im Bereich der Leistenregion. Bemerkenswerterweise sind die Kinder wenig oder überhaupt nicht beeinträchtigt (geringer oder fehlender Juckreiz). Das Eccema infantum ist eine eher selbstlimitierte Ekzemform, die v.a. in den ersten 3 Lebensmonaten auftritt. Es finden sich unterschiedlich intensiv schuppende, meist ortsständige, scharf begrenzte, rote Flecken, Papeln oder konfluierte Plaques. Befallen sind  v. a. Rumpf, hier die seborrhoischen Zonen (Schweißrinnen im Sternalbereich, entlang der Wirbelsäule, Schultergürtel). Vorzugsweise werden auch die Hautfalten hochrot und schuppenfrei befallen (Schuppen werden dort abgerieben). Weiterhin werden Schuppungen auch zentrofacial, in den Augenbrauen und an der behaarten Kopfhaut (hier durchaus auch großflächig) gefunden.

Kontaktzekzem, allergisches: Kontaktallergene sind äußerst selten Auslöser einer "Windeldermatitis". 

 Streptokokkendermatitis, perianale: Selten fieberhaftes Bild. Meist nicht oder gering infiltrierte, gut abgrenzbare, perianale Erytheme von 0.5-3 cm Ø oder Papeln, die gelegentlich eitrig sezernieren. Starker, persistierender Juckreiz sowie Defäkationsschmerz. Bei 30-40% der Fälle blutige Stuhlauflagerungen. Häufig besteht Assoziation mit Impetigo an anderen Körperstellen. Diagnose:  Klinik, Abstrich und Bakterienkultur. Die Diagnose wird häufig verfehlt; so dauert es bei Kindern durchschnittlich 1-12 Monate bis zur Diagnosestellung. 

Tinea glutealis (eher selten bei Kleinkindern): Das Bild ist das typische Bild der Dermatophyteninfektion mit juckenden und randbetonten, schuppenden Erythemen und Plaques. Nativuntersuchung und Kultur sind diagnostisch.

Zinkmangel, erworbener oder angeborener (s.u. Acrodermatitis enteropathica): Symmetrisch an den Akren und Körperöffnungen (Mund, Nase, Anogenitalregion) schuppende und nässende Erytheme und Plaques. Weiterhin sind rezidivierende Diarrhö, reduzierter Allgemeinzustand mit Wachstumsstörungen, rezidivierende Superinfektionen mit Hefen (Kultur anlegen) zu beachten. Bei der hereditären Form erfolgt die Erstmanifestation der Erkrankung im Säuglingsalter, meist nach dem Abstillen; bei den sekundären Verlaufsformen erst Wochen, Monate bis Jahre nach Auftreten der den Zinkmangel auslösenden Grundkrankheit. .

 Granuloma gluteale infantum: Runde, auch ovale, kalotten- oder polsterartige, blaurote bis braunrote, prall-elastische Knoten entlang der Spaltlinien der Haut. Gelbbraune, lupoide Verfärbung unter Glasspateldruck. 

Eher seltene DD sind (nach Fölster-Holst) das Kawasaki-Syndrom, die Langerhanszell-Histiozytosen sowie herpetische oder HP-Viruserkrankungen.     

Komplikation(en)

Bakterielle oder mykotische Sekundärinfektion.

Therapie

Bei Kleinkindern: In der warmen Jahreszeit Kinder stundenweise auch einmal ohne Windeln belassen. Hierunter heilen Windeldermatitiden am schnellsten ab!

Reinigung: Lediglich mit klarem Wasser oder Öltüchern (falls die kommerziellen Reinigungstücher nicht toleriert werden, am einfachsten Papiertücher mit Olivenöl benetzen und damit den Bereich zart reinigen). Alternativ Sitzbäder mit Kleiebad (z.B. Töpfer Kleiebad), ggf. Anwendung von synthetischen Gerbstoffen (z.B. Tannolact, Tannosynt).

Gutes Abtrocknen der Region, warmes Trockenföhnen.

Pflegende und schützende, hydrophile Zinksalben: Hierbei eignen sich am besten hydrophile anionische Creme-Zinkpasten (O/W-Cremes), z.B.  R190   R193 . 

Merke! Nur hydrophile Grundlagen sind in der Lage, Flüssigkeiten in genügenden Mengen zu absorbieren, daher keine lipophilen Salbengrundlagen anwenden. 

Häufiges Windelwechseln (alle 3-4 Std.). Unbedingt moderne Windeln mit Gelkissen nutzen.

Ausschluss mykotischer oder bakterieller Sekundärbesiedlung bzw. Candidose (mikrobiologischer Abstrich, Abklatsch auf Sprosspilze lokal und der Mundhöhle, ggf. Stuhl auf Sprosspilze untersuchen, ebenfalls bei der Mutter).

Bei sekundärer Candidose: Antimykotische Externa (z.B. Multilind Paste, Candio Hermal Softpaste,  R172) 2-5mal/Tag dünn auftragen.

Bei schweren erosiv-nässenden Zuständen evtl. kurzfristig kombinierte Therapie mit Hydrocortison in weichen Pasten (z.B. Nystaderm comp®) 2-3mal/Tag dünn auftragen. S.a. Ausfürhungen zum Granuloma glutaeale infantum.

Bei Erwachsenen kann bei starker Irritation auch kurzfristig ein kombiniertes Glukokortikoid/Breitbandantimykotikum-Präparat eingesetzt werden (z.B. Vobaderm®= Flupredniden/Miconazol). 

In einer doppelblinden, placebokontrollierten Studie wurde die Wirksamkeit von 0,25% Miconazolnitrat in einer zinkhaltigen Grundlage nachgewiesen.

 Merke! Kontraindiziert sind aufgrund der hohen Resorptionsgefahr fluorierte Glukokortikoide! Aufgrund der großflächigen Entzündung kann die Resorption von Lokaltherapeutika bis auf das 20fache erhöht sein!

  • Bei enteraler Candidose: Behandlung der Mundhöhle und Sanierung des Darmes mit einer Nystatin-haltigen Suspension oder Tropfen (z.B. Moronal Suspension, Nystatin Lederle Tropfen.). Candidose der Mundschleimhaut: 4-6mal/Tag 0,5-1,0 ml nach den Mahlzeiten in den Mund träufeln.
  • Alternativ Amphotericin B-Suspension:
    • KG < 1500 g: 4mal/Tag 0,2 ml p.o.
    • KG > 1500 g: 4mal/Tag 0,4 ml p.o.
  • Darmsoor: 4mal/Tag 1,0-2,0 ml vor den Mahlzeiten über 2 Wochen. Des Weiteren Dragees oder Tabletten (z.B. Mykundex mono Drg.) über 7-14 Tage. Untersuchung und Mitbehandlung insbes. der Mutter notwendig.

 Merke! Moronal Suspension wird aufgrund der hohen Osmolarität nicht bei Frühgeborenen angewandt!

Therapie allgemein

Im Englischen werden die Therapiemaßnahmen unter dem Akronym "ABCDE" zusammmengefasst. Dabei steht:

  • A = air - Beseitigung der Okklusion. Kinder, die keine Windeln tragen, bekommen keine Windeldermatitis.
  • B = barriers - Regneration der Hautbarriere.
  • C = Cleansings - Verkürzung der Intervalle zwischen dem Windelwechseln (Wechselintervalle alle 3-4 Stunden).
  • D = Diapers - Moderne Windeln mit Gelkissen transportieren die ausgeschiedene Flüssigkeit von der Haut weg. Sie sorgen für ein Ausmaß an Trockenheit, das durch Stoffwindeln nicht erreicht werden kann.
  • E = Education - Aufklärung der Eltern über die pathogenetischen Zusammenhänge.

Prophylaxe

Lipophile Pasten sind immer dann indiziert, wenn der Schutz einer weitgehend intakten Haut gegenüber aggressiven Körperflüssigkeiten oder Externa geboten ist! Anwendung erfolgt z.B. bei Windelwechsel:

  • Lipophile Pasten (Pasta zinci R191 bei Windelwechsel im Bereich der Windelregion dünn auftragen (lipophile Pasten haben einen wasserabweisenden Effekt). Reinigung mit Olivenöl.
  • Alternativ: Lipophile Pasten/Cremes mit einem Zusatz von Olivenöl (z.B. Pasta zinci mollis mit Olivenöl).
  • Linola Atmungsaktiver Schutzbalsam

Literatur
Für Zugriff auf PubMed Studien mit nur einem Klick empfehlen wir Kopernio Kopernio

  1. Arnold-Long M et al. (2018) Incontinence-Associated Dermatitis and Intertriginous Dermatitis as Nurse-Sensitive Quality Indicators: A Delphi Study.J Wound Ostomy Continence Nurs 45:221-226.
  2. Cohen B (2017) Differential Diagnosis of Diaper Dermatitis. Clin Pediatr (Phila) 56(5_suppl):16S-22S.
  3. Concannon P et al. (2001) Diaper dermatitis: a therapeutic dilemma. Results of a double-blind placebo controlled trial of miconazole nitrate 0.25%. Pediatr Dermatol 18: 149-155
  4. Fölster-Holst (2011) Windeldermatitis. Hautarzt 62: 699-709
  5. Gupta A et al. (2004) Seborrheic dermatitis. J Eur Acad Dermatol Venereol 18: 13-26
  6. Koch R (1991) Phytosterole bei Windeldermatitis. Dt Dermatol 39: 1454-1459
  7. Prasad HR et al. (2003) Diaper dermatitis--an overview. Indian J Pediatr 70: 635-637
  8. Seebacher C et al. (2006) Candidose der Haut. J Dtsch Dermatol Ges 4: 591-596

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