Schnitzler-Syndrom L53.86

Autoren: Prof. Dr. med. Peter Altmeyer, Prof. Dr. med. Martina Bacharach-Buhles

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Zuletzt aktualisiert am: 19.01.2024

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Synonym(e)

Noninflammasome-Mediated Autoinflammatory Disease; Schnitzler`s syndrome; SchS; urticarial vasculitis; Urtikariavaskulitis

Erstbeschreiber

Schnitzler, 1972

Definition

Das Schnitzler-Syndrom (SchS) ist eine seltene, spät auftretende, nicht hereditäre (familiäre) Autoinflammatorische Erkrankung (AID) , von der in der medizinischen Literatur bisher < 350 Fälle berichtet wurden (de Koning HD 2014). Nach den 2012 aufgestellten diagnostischen Straßburger Kriterien (s.u.) zeigt das Schnitzler-Syndrom einen chronischen urtikariellen Ausschlag und eine monoklonale Gammopathie vom IgM- und seltener IgG-Typ (85%/15 % der Fälle; obligatorische Hauptkriterien/de Koning HD 2014). Zu den kleineren Straßburg-Kriterien der Krankheit gehören rezidivierendes Fieber, abnormes Knochenremodeling mit oder ohne Knochenschmerzen, ein neutrophiles Infiltrat in der Hautbiopsie und Leukozytose oder erhöhtes CRP.

Die Häufigkeit der Hautbefunde variiert stark, wobei einige Patienten ständig Hautsymptome aufweisen, während bei anderen nur wenige Male im Jahr ein Ausbruch auftritt. Einzelne Hautläsionen bleiben 12-48 Stunden lang bestehen (de Koning 2014). Hautausschläge und Fieber treten häufig gleichzeitig auf und können durch Stress, Kälte, Hitze, Alkohol, scharfe Speisen und körperliche Aktivität ausgelöst werden (de Koning et al.2014; Lipsker D 2010). Zusätzlich zu den Straßburger Kriterien können die Patienten Arthralgie, Myalgie, Lymphadenopathie, Gewichtsverlust, Hepatosplenomegalie und Angioödeme aufweisen (de Koning, 2014). Das Risiko, innerhalb von 10 Jahren eine lymphoproliferative Störung, meist Waldenström-Makroglobulinämie, zu entwickeln, beträgt etwa 13 % (de Koning, 2014).

Ätiopathogenese

Ungeklärt. Autoimmungenese ist nicht abschließend geklärt. Offenbar spielt IL-1 sowie der dysfunktionelle Interleukin-1 Rezeptor eine zentrale Rolle in der Pathogenese der Erkrankung. Autoantikörper gegen IL-1 wurden nachgewiesen. Möglicherweise verlängern diese AK die biologische Halbwertszeit und damit die Wirkung dieses Zytokins. Dies könnte den therapeutischen Effekt des Interleukin-1-Rezeptor Antagonisten Anakinra erklären.

Manifestation

Das mittlere Erkrankungsalter liegt bei 52 Jahren. Männer und Frauen sind ähnlich häufig betroffen (m:w = 1,6:1).

Klinisches Bild

Erhebliches Krankheitsgefühl mit rezidivierenden Fieberschüben (bei etwa 90% der Patienten mit Temperaturen < 40 °C), rezidivierendem, juckendem oder auch schmerzendem, stammbetontem, urtikariellem Exanthem (neutrophile urtikarielle Dermatose /NUD) (Exanthemschübe gehen mit dem periodischen Fieber parallel), Abgeschlagenheit und Müdigkeit, Arthralgien, Arthritiden und Knochenschmerzen (v.a. Tibia und Beckenknochen). Zusätzlich können Lymphknotenschwellungen und Hepatosplenomegalie auftreten.

Die neutrophile urtikarielle Dermatose (NUD) ist der charakteristische Hautbefund des SchS und geht anderen Anzeichen und Symptomen der Krankheit häufig voraus (de Koning, 2014). Die NUD ist jedoch nicht spezifisch für SchS, da sie auch bei anderen autoinflammatorischen Syndromen wie CAPS und AOSD (adultes Still-Syndrom) auftreten kann, die als Differentialdiagnosen ausgeschlossen werden müssen (Chen S. 2022). Die NUD ist durch manchmal konfluierende, erythematöse, ringförmige oder makulopapulöse Läsionen mit einem Durchmesser zwischen 0,5 und 3 cm gekennzeichnet. Im Vergleich zur chronischen spontanen Urtikaria sind die SchS-Läsionen weniger ödematös. Der Ausschlag ist symmetrisch verteilt und betrifft den Rumpf und die Extremitäten, während Kopf und Hals nur selten betroffen sind. Die Handflächen und Fußsohlen sind nie betroffen . Die Häufigkeit der Exantheme variiert beträchtlich und reicht von täglich bis wenige Male pro Jahr, während einzelne Hautläsionen in der Regel 12-48 Stunden andauern und ohne Narbenbildung abheilen (de Koning, 2014). Die kutane Beteiligung kann durch verschiedene Faktoren wie Stress, Alkohol, scharfe Gewürze, Nahrungsmittel, körperliche Arbeit und Exposition gegenüber heißen oder kalten Temperaturen ausgelöst werden (Lipsker, 2010). Ein lokaler Kältetest (Eiswürfeltest ist jedoch negativ Krause et al. 2012b). Nur 21 % der Patienten mit SchS entwickeln im Laufe der Zeit juckende Hautläsionen, wobei die Patienten stattdessen häufig über ein brennendes Gefühl berichten. Angioödeme treten nur bei 8 % der Patienten mit SchS auf (de Koning HD 2014).

Labor

Hohes CRP, hohe BSG, Anämie, Leukozytose und Thrombozytose; Nachweis einer IgM-(G)-Gammopathie, Bence-Jones-Proteinurie (in etwa 30% der Fälle).

Histologie

Das Bild der leukozytoklastischen Vaskulitis ist möglich. Auch rein urtikarielle Muster sind nachweisbar.

Diagnose

Für die Diagnose müssen mindestens 2 Hauptkriterien und 2 Nebenkriterien (bei IgM-Gammopathie) oder drei (bei IgG-Gammopathie) Nebenkriterien erfüllt sind. Im Allgemeinen ist der urtikarielle Hautausschlag das erste Anzeichen der Krankheit und geht anderen Anzeichen und Symptomen voraus (medianes Alter beim Auftreten des Ausschlags = 51 Jahre, medianes Alter beim Auftreten von Fieber = 52 Jahre) (de Koning, 2014).

  • Hauptkriterien:
    • Chronisch rezidivierendes urtikarielles Exanthem
    • monoklonale IgM-Gammopathie (seltener IgG-Gammopathie) unklarer Signifikanz ( MGUS).
  • Nebenkriterien:
    • Intermittierendes Fieber
    • Arthralgie oder Arthritiden der großen Gelenke
    • Knochenschmerzen
    • Lymphadenopathie
    • Hepato- oder Splenomegalie
    • BSG/CRP-Erhöhungen oder Leukozytose
    • Knochenverdichtungen.

Differentialdiagnose

  • Chronische Urtikaria (wichtigste Differenzialdiagnose): Keine Fieberschübe; ebenso fehlt die breite Krankheitssymptomatik des Schnitzler-Syndroms. Kein Nachweis einer MGUS.
  • Urtikaria, autoreaktive. Bild der chronischen (nicht fieberhaften), therapieresistenten Urtikaria. Häufig Angioödeme; meist erhöhte Anti-TPO-AAK und erhöhtes CRP.
  • Adultes Still-Syndrom: Ähnliche klinische Symptomatik mit rezidivierenden Fieberschüben, Arthralgie und Muskelschmerzen. Eine Gammopathie fehlt. Hautveränderungen sind von ähnlicher Natur. Weiterhin: Leukozytose (> 10.000/μl) mit > 80% Neutrophilie, Serositis, Rheumafaktor negativ, ANA negativ.
  • CAPS = Kryopyrin-assoziiertes periodisches Syndrom: Sehr seltene Erkrankung; klinisches Bild der kälteinduzierten Urtikaria mit mutilierenden Arthralgien. Langfristige Folgen durch die ständig erhöhten Entzündungsparameter sind bei einem Teil der Patienten eine systemische Amyloidose.
  • Systemischer Lupus erythematodes (SLE): Auch hierbei können urtikarielle oder urtikariell-papulöse, fieberhafte Exantheme auftreten; die Labor- und immunologische Sysmptomatik (ANA, ENA; Immunfluoreszenz) ist jedoch beweisend.
  • Lymphoproliferative Erkrankungen mit Paraproteinämie (s.u. Paraproteinämie, Hautveränderungen).
  • Fiebersyndrome, hereditäre, periodische (sehr selten; entsprechende Familienanamnese; keine Gammopathien). S.a. Muckle-Wells-Syndrom; CINCA-Syndrom (chronisches infantiles neurologisches kutanes und artikuläres Syndrom) und Kryopyrin-assoziiertes periodisches Syndrom.
  • POEMS-Syndrom (sehr selten): Polyneuropathie, Organomegalie, Endokrinopathie, monoklonale Gammopathie (Myelom-Nachweis!). Hautveränderungen werden mit Hyperpigmentierungen, Hypertrichose, Ödem der Extremitäten und Hautverdickungen beschrieben; durchaus unterschiedliches Bild.

Therapie

Der Il-1 Antagonist Anakinra (100 mg/Tag s.c.) führte in mehreren Fällen (Nachbeobachtungszeit von > 3 Jahren) zur kompletten Remission (Therapie der 1. Wahl). Mittelhochdosierte Glukokortikoide (z.B. Prednisolon 75-100mg/Tag) wirken prompt (Dauertherapie!). Hinsichtlich der Behandlungsbedürftigkeit der MGUS erscheint ein hämatologisches Konsil sinnvoll. Ansonsten symptomatische Therapie je nach Klinik. Antihistaminika sind ohne Effekt auf die klinischen Symptome. Therapieerfolge unter Rituximab müssen eher kritisch gewertet werden.

Verlauf/Prognose

Die Mortalität ist mit einer 15-Jahresüberlebenszeit von 94% vergleichbar mit der bei der nicht-erkrankten Bevölkerung. In ca. 15% der Fälle entwickelt sich eine lymphoproliferative Erkrankung die dann die Prognose definiert.

Hinweis(e)

Antihistaminika sind bei diesem Krankheitsbild wirkungslos!

Fallbericht(e)

  • Die 52-jährige Pat. beobachtete seit 10 Jahren über rezidivierende, urtikarielle Hautveränderungen am gesamten Integument. Die etwa 4-6 Wochen persistierenden Schübe seien anfänglich in Abständen von mehreren Monaten aufgetreten. Sie hätten sich im Laufe der Jahre zeitlich verdichtet. Im letzten Jahr beobachte sie jedoch täglich Hauterscheinungen. Hierbei fühle sie sich regelmäßig, grippeartig "krank" mit Unwohlsein, Abgeschlagenheit, undefinierbaren Myalgien und wechselhaften, durchaus schmerzhaften Gelenkbeschwerden. Der Hausarzt habe eine deutlich erhöhte BSG und eine Leukozytose von 12.000-15.000 /µl festgestellt. Die bisherige Therapie erfolgte mit intervallartig applizierten Glukokortikoiden (diese hätten in mittlerer Dosierung prompt geholfen), zeitweise in Kombination mit Azathioprin (100 mg/Tag p.o.).
  • Befund: Erhebliches Krankheitsgefühl mit Temperaturen zwischen 39,5 und 40 °C. Dichtes stammbetontes urtikarielles Exanthem. Abgeschlagenheit und Müdigkeit, Arthralgien, Arthritiden und Knochenschmerzen. Sonographisch nachgewiesene Splenomegalie und mäßige Lymphadenopathie. CRP ist deutlich erhöht, hohe BSG, wechselhafte hohe Leukozytose (12-15.000 ul) mit Neutrophilie, Thrombozytose; Nachweis einer IgM-Gammopathie (6,5 mg/l), keine Bence-Jones-Proteinurie.
  • Histologie (unspezifisch): mäßig dichtes gefäßbetontes perivaskuläres, rundzelliges Infiltrat. Immunhistologie: unspezifisch.
  • Dg.: Schnitzler Syndrom.
  • Therapie: Anakinra (100 mg/Tag s.c.). Darunter prompte Besserung der klinischen Symptomatik. Absetzen des Präparates führte allerdings zu einem prompten Rezidiv. Unter der jetzt fortgeführten Therapie mit Anakinra ist die Pat. seit 10 Monaten erscheinungsfrei.

Literatur
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